Halbbackenes Kochbuch
Klaus M. Leisinger, Josef Wieland: Manifest Globales Wirtschaftsethos

Man stelle sich ein Kochbuch vor, das von einer prestigeträchtigen, der UNO nahestehenden Organisation herausgegeben und angeblich von Lebensmittelexperten geschrieben wurde. Das kauft man sich gutgläubig für rund zehn Euro und bekommt dafür die vermeintlich universellen Hilfestellungen gleich zweisprachig, Deutsch und Englisch.
Man stellt fest, es werden in den Beiträgen und den einzelnen Sätzen so gut wie alle gängigen Grundlebensmittel erwähnt, so Mehl & Eier, Milch & Reis, Gemüse & Obst, Bohnen und dergleichen mehr, und nicht zuletzt kommen, wenn auch ohne weitere Präzisierung, Wasser und Wärmezuführung zu Wort. zudem wird erzürnt gegen den Hunger gewettert. Da bekommt man allmählich Appetit.
Irgendwie ist die Lektüre keineswegs sättigend, und man fragt sich warum. Gut, vom Lesen allein wird der Magen auch nicht voll. Da hat man allerdings die verschiedenen Zutaten doch schon beisammen und möchte loslegen. Man liest im UNO-Kochbuch pflichtgemäß, dass die Zutaten konsistent aufeinander abzustimmen sind.
Es fehlt aber etwas. Was kann das bloß sein?

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Halbbackenes Kochbuch
1500 Wörter
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Die mit unterhaltsamen Einlagen versehene Polemik in der Form einer Buchbesprechung entlarvt die Prätentionen der beiden dnwe-„Professoren“ Leisinger und Wieland, die sich auf dessen Website und in Newslettern letztlich als „Ethik-Experten“ ausgeben lassen. Das entgeltlich zu erwerbende Buch ist eine versteckte – versteckte wohl – Werbebotschaft für das Institut von Josef Wieland (ZfW). („Das Zentrum für Wirtschaftsethik (ZfW): das wissenschaftliche Institut des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik - EBEN Deutschland e.V. (DNWE).“). Josef Wieland war früher Vorstandsvorsitzender des dnwe (was alles nicht auf der Homepage des dnwe steht!). Die beiden Herrschaften waren (Stand Juli 2012) langjährige Mitglieder des Kuratoriums des dnwe.

Die „Buchbesprechung“ bleibt nicht bei der Kritik, sondern sie bietet konstruktiv an, was man alles wirtschaftsethisch an Problemstellungen hätte zwingend ansprechen müssen. Sie bringt also eine Analyse, was für Leistungen eine Wirtschaftsethik im ursprünglichen Sinne des Wortes hätte anpeilen müssen.

Es wird in der Wirtschaft viel von „Leistung“ gesprochen: hier wird vorgeführt, wenn auch nur im (leider) kleinen Bereich „Wirtschaftsethik“, wie die ansonsten leistungsbegeisterte Elite die Leistung versagt.

Leider aber geht es weiter ...

DNWE-Zensur für Satire
Cusanus hat seine Buchbesprechung dem dnwe wegen einer möglichen Veröffentlichung im Vereinsblatt Forum Wirtschaftsethik eingereicht, das – wie Professor Löhr auf die Kritik von Cusanus 2010 in Bonn erläutert hat – als "wissenschaftlich", d.h. als nachweiserbringend einer wissenschaftlichen Leistung (man staune!) anerkannt – gilt. (Die Zeitschrift sieht grafisch allerdings nicht nach Wissenschaft, eher nach Illustrierte oder Selbstdarstellung – selbstverständlich mit Fotographien der Mitläufer – aus. Entgeltlich über dnwe zu erhalten!)

Die Besprechung wurde von der damaligen Redakteurin für Buchbesprechungen wohlwollend aufgenommen. Dann aber ist sie im Rahmen der Geschehnisse im November 2011 verständlicherweise von dieser Zuständigkeit zurückgetreten. Danach Funkstille. Dazu später: "wir hatten die eingereichten Rezensionen noch im Dezember 2011 an Herrn Fetzer und Frau Sahr per Mail weitergeleitet, da die beiden sich für Forum, Newsletter und Schriftenreihe zuständig fühlten." Ordentlich, richtig und sittlich wäre gewesen, dass Fetzer und Sahr sich bei Cusanus – zumindest anerkennend wenn eventuell ablehnend – melden.

Darauf hin reichte Cusanus die mokierende Besprechung des Buches der Kuratoriumsmitgliedern erneut ein: Dazu die neue Redakteurin (ungewählt) Professor Monika Eigenstetter:

Lieber Herr Gregory,
das Buch mag ja grottenschlecht sein, ich kann es nicht beurteilen, da ich es nicht gelesen habe. Doch wie Sie es beschreiben, ist wenig geeignet, den Lesern klar zu machen, was das Buch inhaltlich behandelt und ob es seine selbstgewählten Ziele erreicht. Es entspricht in der Form nicht den Anforderungen an Rezensionen in seriösen Zeitschriften, sondern entspricht einer Polemik im Sinne Martensteins. Ich bitte Sie, Ihren Text zu überarbeiten und angehängte Richtlinie zu beherzigen. Das fordere ich im Übrigen auch von allen anderen Rezensenten. Andernfalls werden wir Ihre Rezension nicht im Forum Wirtschaftsethik Online berücksichtigen. Als Beispiel habe ich auch eine eigene Rezension angehängt.
Sollten Sie Redaktionsvorschläge wünschen, stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit besten Grüße, Monika Eigenstetter

Vielleicht ist auch meine Buchbesprechung "grottenschlecht". Mir gehört es nicht, darüber zu urteilen. Es ging mir aber um etwas anderes, was der Professorin Monika Eigenstetter merkwürdigerweise entgangen ist. Mein Versuch ("essai", "Essay") ging nämlich dahin, vorzuführen, wie man überhaupt interessant (auch provokativ, satirisch und publikumswirksam) im Sinne eines Vereins für Wirtschaftsethik schreibt. Sogar darum, dass man "grottenschlechte" Bücher so besprechen kann, dass doch für den Leser ein inhaltlicher Gewinn entsteht. Aber vor allem, vorzuführen, dass zwei dnwe-Promis letztlich in Sachen Ethik Scharlatane sind; und nicht nur dies, sondern auch, dass sie ihre Beziehungen benutzen, um ein Buch zu veröffentlichen und verkaufen, das eigentlich nur eine Werbeschrift für ein eigenes – zweifelhaftes – Institut darstellt. Vielleicht ist dieser Grundgedanke über Sinn & Zweck einer Rezension der Professorin entgangen. Ich vermute aber im Gegenteil, denn ganz so dumm ist sie auch nicht, und darin dürfte der eigentliche Grund ihrer Ablehnung liegen.

Zensur pur, oder?
DNWE hätte es im übrigen überhaupt seinen Mitgliedern ermöglichen können, die Beiträge im Intranet selbst zu bewerten, anstatt diese Aufgabe – ohne Genehmigung durch Mitgliederversammlung oder Satzung – dem Vorstand und seinen Gesinnungsgenossen zu überlassen. Ob die Beiträge in Spalten in Forum Wirtschaftsethik aufwendig formatiert und eventuell gedruckt oder aber einfach so ins Netz gestellt werden, ist nun nicht das Thema.

Zwangsjacke
Monika Eigenstetter hat ihrem obigen Schreiben einen Leitfaden aus der Tasche gezogen und beigefügt, wie nun die Rezensionen nach Ansicht der dnwe-Obrigkeit zu schreiben sind. Der Leitfaden war neu, denn davon wusste die vorangegangene Redakteurin nichts. Er war weder auf der Website noch sonst an die Mitglieder übermittelt worden. Es reicht eine Anmerkung: Eine Buchbesprechung ist selten nur eine Buchbeschreibung, sondern auch eine kritische – und weiterführende – Wertung; rhetorisch habe sie keine Richtlinien zu befolgen. Man hätte den Artikel auch unter einer anderslautenden Rubrik veröffentlichen können, z.B. „Kuratoriumsmitglieder in der Kritik“.

Leidfaden Eigenstetter: wie man langweilig schreibt. Frau Professor Eigenstetter: Wir sind hier nicht an Ihrer Hochschule, und die Mitwirkenden beim dnwe sind nicht Ihre Angestellte. Somit sind Se nicht weisungsbefugt, hier geht es allein um die Qualität (z.B. Tiefgang, Leserlichkeit, Relevanz der Rezension). Bei Ihrem Leitfaden (hier korrekt geschrieben) handelt es sich wohl um eine Ausrede, damit die „Wirtschaftsethik“ schal, unleserlich und irrelevant bleibt und somit entsprechend dem intellektuellen Anspruch des dnwe: Schulterschluss mit den Scharlatanen.

ABER LESEN UND BEURTEILEN SIE, lieber Leser, MIT SPASS HIER SELBER:

Halbbackenes Kochbuch
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Intrigen bei dnwe
Oktober 2011

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Karin Sahr: verlogen & arrogant

Im Herbst 2008 baten mich Karin Sahr und Rudolf X. Rüter im Namen von Ernst & Young gleich zweimal persönlich um eine Meinung zu Ihrer Broschüre „Kapitalanlageentscheidung und Socially Responsible Investment in der Praxis“. Ich habe darauf hin Ihnen je getrennt einen umfangreichen Brief (auf Papier) zugeschickt, in dem ich eine umfassende Meinung dazu abgegeben habe. Der vollständige Wortlaut des Briefes steht hier:

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Der 3000 Wörter umfassende Brief hat zwei Hauptteile. Im ersten Hauptteil wird das Thema des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen überhaupt eingehend besprochen. Der zweite Hauptteil befasste sich dann mit den Inhalten der teuer produzierten Broschüre ("Ernst & Young / Quality In Everything We Do"!) Es wurde auf verwirrende bzw. unverständliche Formulierungen hingewiesen; auf dubiose Forschungstechniken; auf die Verwechslung von Begrifflichkeiten, die man differenzieren müsste; auf fehlende Logik; und so weiter.

Die Herrschaften haben sich nie wieder gemeldet. Angebracht und anständig wäre, da Sie eben mich persönlich zweimal um eine Meinung gebeten haben, dass sie sich zumindest für die geleistete Detailarbeit bedanken oder diese anerkennen, auch wenn sie nicht die Meinung erhalten haben, die sie sich erhofft haben. Man darf aus dem Vorfall den Schluss ziehen, es handele sich bei diesen dnwe-Amtsträgern (Sahr im dnwe-Vorstand, und Rüter zeitweise in einer Regionalgruppe) um keine „fit and proper persons“ für die Mitgliedschaft in einem Ethikverein.

Einige Monate später waren Sahr und ich auf der Jahrestagung des dnwe bei Bonn. Ich wollte sie über die Sache ansprechen und ging auf sie zu. Wir standen weniger als zwei Meter voneinander entfernt etwa eine Viertelstunde lang an einem Stehtisch, während sie sich mit einem Kollegen unterhielt. Ich hatte mit der Körpersprache klar gemacht, dass ich mit ihr sprechen wollte. Als ihr Kollege wegging, so machte sie sich auch auf, wegzugehen, ohne mich anzuschauen. Ich sprach sie über meinen Brief an. Obwohl sie in der Broschüre eine der Autoren der Studie mit als Aufgabe „Public Office Bund / Corporate Social Responsibility Services“ angegeben wird, meinte sie kurz, sie habe mit der wissenschaftlichen Sache eigentlich nichts zu tun gehabt, ich solle mich an den zuständigen Professor wenden, wenn ich etwas nicht verstehe. Ich denke im Gegenteil: Ich habe die Verlogenheit der Studie sehr wohl verstanden. Die Verlogenheit und Arroganz des dnwe-Vorstandsmitglieds auch.

Offensichtlich interessieren sich diese dnwe-Herrschaften für die Ethik und deren Rolle in den Unternehmen doch nicht, sonst hätten sie sich mit den nachstehenden Gedanken befasst, wo es auch noch gegen Ende um die Überheblichkeit geht:

Es ist ein großer Unterschied, ob ein Unternehmen sich darum bemüht, seiner Geschäftstätigkeit mit Umsicht und Rücksicht auf alle Beteiligten ("Stakeholder": Stammkunden, Lieferanten, Belegschaft, Anwohner) nachzugehen oder ob es sich mit sozialen oder anderen Aufgaben befasst, die nicht zu seinem Kerngeschäft gehören.

Mir und anderen (als Konsumenten) läuft kaum ein Unternehmen über den Weg, das bei seinen Produkten, dem Service oder sonst bei seinem Auftritt nicht gravierende Unzulänglichkeiten an den Tag legt: Da würde es uns vollkommen reichen, wenn die Unternehmen ausschließlich ihrem Kerngeschäft richtig und rücksichtsvoll, gesetzes- und vertragstreu nachgehen würden. Damit wäre viel erreicht, und mehr verlangen die meisten Bürger von den Firmen eigentlich nicht.

Es ist in einer wohl geordneten Gesellschaft (die wir freilich noch lange nicht haben) im übrigen nicht vertretbar, das Geld der Konsumenten, der Angestellten oder der Aktionäre ohne deren Möglichkeit, effektiv zuzustimmen oder eine Zustimmung zu verweigern, für willkürlich bevorzugte Fremdprojekte zu verwenden. Diese Mittel stehen den Konsumenten, den Angestellten und den – einzelnen – Aktionären zu, die dann das freigewordene Geld nach ihrer Wahl auch für soziale und kulturelle Zwecke entsprechend einsetzen können.

Dies vorausgeschickt gibt es durchaus Situationen in denen ein Unternehmen sich ein wenig über sein Kerngeschäft hinaus gelegentlich sehr sinnvoll einsetzen kann. Zum Beispiel (gerade jetzt) bei fehlender Nachfrage kann man Ressourcen, die ohnehin vorhanden sind und sonst ungenutzt blieben, für soziale Projekte einsetzen. Etwa Sachmittel spendieren und Personal (einschließlich Managementpersonal) abberufen, um einen Kinderspielplatz einzurichten. Das ist eine Möglichkeit, die sich immer dann anbietet, wenn die örtlichen politischen Instanzen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen und die Bürger zu schwach organisiert und ausgestattet sind, eine derartige Aufgabe selber in die Hand zu nehmen. In einer gut geordneten Gesellschaft allerdings müssten die politischen Instanzen vor Ort bzw. die Bürger selber eher in der Lage sein, diese Aufgaben wahrzunehmen. Insoweit müsste das Engagement des Unternehmens einer gelegentlichen Nothilfe – einer Ausnahme – gleichkommen und nicht programmatisch sein.

Der große Vorteil für das Unternehmen könnte in diesem Fall in der Beibehaltung und Weiterbildung der Mitarbeiter liegen.

Wohin gehört nun hier CSR? Brauchen wir das Wort oder laufen wir nicht mit der Floskel CSR eher Gefahr, wichtige Unterscheidungen zu verwischen? Kommt die beste Nahrung zustande, indem man alles in einen Topf wirft, oder schmeckt es nicht besser (ist es nicht schonender), wenn die Zutaten auseinander gehalten werden?

Wenn CSR das programmatische (anstatt bloß gelegentliche) Engagement der Unternehmen außerhalb ihrer Kernkompetenzen bedeuten soll, so bin ich eher dagegen. Unsere gesellschaftliche Ordnung und die damit verbundene Funktionstrennung sehen nicht vor, dass die private Wirtschaft die Aufgaben des Staates und der Zivilgesellschaft übernimmt. Wenn wir in diese Richtung gehen, ist längerfristig mit Gefahren bezüglich der Machtverteilung in der Gesellschaft zu rechnen. Wenn die private Wirtschaft (immer) mehr Ressourcen für sich in Anspruch nimmt, um diese gut gemeinten Aktivitäten umzusetzen, so sind weniger Mittel für die Bürger und den Staat vorhanden. Dies ist der Fall, ob es sich nun bei den Ressourcen um Geld, Sachmittel oder Arbeitsstunden des Personals handelt.

Wenn die wöchentliche Arbeitszeit (oder auch die Jahresarbeitszeit) nicht so übertrieben lang wäre – und das auch noch teilweise bei hoher Arbeitsintensität (aufgrund der geforderten "Produktivität") – , so verfügten die arbeitenden Bürger über mehr Zeit und Energie, sich zu engagieren. Ob sie dies auch tun (oder tun würden), hängt freilich vom Umfeld, von den gegebenen rechtspolitischen Strukturen und von der gesellschaftlichen Kultur ab.

Um diesen Standpunkt zu unterstreichen, weise ich noch einmal auf die verbreitete Wahrnehmung hin, dass viele Firmen (insbesondere Konzerne) ihren ureigenen Aufgaben nur unzulänglich nachkommen: die Produkte, die Dienstleistungen, der Umgang mit Lieferanten, die Vermarktung ließen sich in den meisten Fällen noch immer oder auch jetzt erst recht (erstaunlicherweise) bedeutend verbessern. Und dies, obwohl ständig von Qualität in allen Richtungen ("kontinuierliche Optimierungsprozesse" und dergleichen) geschwätzt wird. Ich habe durchaus den Eindruck, dass nach jeder Schulung kräftig gefeiert wird, damit das Gelernte auch gleich vergessen wird.

So stellen ich und meine Kollegen als Lieferanten fest, dass die Unternehmen kein Gedächtnis haben. Das Personal wird ausgewechselt oder versetzt, und die Einkaufsprozesse fangen wieder von null an mit rundum negativen Auswirkungen. Andererseits ist die Vermarktung an die Konsumenten und andere Endnutzer öfters so widerlich oder auch beleidigend, dass man am liebsten gar nichts mehr einkaufen würde. Immer wieder fehlen den neuen Produkten die Vorteile der alten.

An diesen Stellen sollten die Unternehmen bei ihren Bemühungen um Verantwortung eher ansetzen.

Natürlich ist das gerade für die hochstrebenden Manager weniger aufregend als sich mit neuen Floskeln und Abenteuern zu schmücken. Und damit kommen wir zu einem weiteren Thema: Sind die Menschen, die es verstehen, die derzeitigen Hierarchien erfolgreich zu erklimmen, auch charakterlich geeignet, wichtige Entscheidungen zu fällen und neue Richtungen für die Stakeholder zu setzen? Haben sie die Sachen wirklich durchdacht oder passen sie sich nicht eher unkritisch der Mode (und dem vermeintlichen Konkurrenzzwang) an? Kann es sein, dass viele sehr talentierte, auf Integrität bedachte junge Leute sich eben gegen diesen Karriereweg entscheiden? Um zum Beispiel ein ausgeglichenes Leben mit Familie und Freunden jetzt und nicht erst in ferner Zukunft führen zu können? Um zum Beispiel sich nicht übermäßig kompromittieren zu müssen? Auch, um sich nicht durch ein einseitiges Werteumfeld (die Besessenheit von Besitz, Konsum und Reisen) verführen zu lassen?

Die Skandale der letzten Zeit führen zu der Erkenntnis, dass es noch lange nicht reicht, Verhaltensregeln aufzustellen; vermutlich nicht einmal auf das Einhalten dieser Verhaltensregel zu achten; sondern wir brauchen in exponierten Stellungen auch Menschen, die gegen die Gefahren der Habgier und der Überheblichkeit einigermaßen gefeit sind.

Ein Wort zur unsichtbaren Hand: Adam Smith hat uns wunderbar vorgeführt, dass wir für die gute wirtschaftliche Ordnung nicht auf den Altruismus der Gewerbetreibenden angewiesen sind, sondern uns auf bestimmte Mechanismen des Marktes verlassen können, das Eigeninteresse der wirtschaftlichen Akteure zugunsten der Allgemeinheit zu lenken. Diese Einsicht ist, so will es mir scheinen, in den letzten Jahrzehnten so ausgelegt worden, als ob jeder ausartende Egoismus und jede Raffgier nicht nur für die Gesellschaft harmlos wäre, sondern ihr regelrecht zugute kommen würde.

Bei der Ausgestaltung eines einigermaßen soliden Kontrollsystems brauchen wir viele Sicherheitsvorrichtungen. Ein Verhaltenskodex reicht allein nicht aus, und Schulungen auch nicht. Guter Charakter selbst kann unter Umständen simuliert werden. Die scharfsinnige Urteilskraft bedarf selber immer wieder Korrekturen von außen.

Eines dürfte inzwischen unbestreitbar sein: auf einen einzigen Mechanismus – nämlich denjenigen des Marktes – dürfen wir uns nicht verlassen. Dieser ist erstaunlich robust, aber kein Mechanismus ist vor jeglichem Verschleiß gefeit: alle Systeme nutzen sich mit der Zeit und dem Wechsel der Generationen ab. Die Schwachstellen werden nach und nach identifiziert, ausgenutzt, ausgehöhlt und bringen somit das Ganze in Verruf. Nicht jede Erneuerung ist sinnvoll, aber manche Neuerung, Veränderung, Feinabstimmung ist immer vonnöten. Das schließt auch manche Systemveränderung (z.B. bei der steuerlichen Gesetzgebung) ein.

„with tough love“
Paul Gregory

 

Kuratoriumsmitglied Michael Behrent
Oktober 2011

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